Daniela Angetter, Renate Feikes und Karl Holubar
Institut für Geschichte der Medizin der Universitét Wien

ZEITGESCHICHTLICHES SYMPOSIUM im Rahmen der 40. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, Hamburg, FREITAG 14.MAI 1999

(illustriert am Beispiel der österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie und am Personalstand den beiden Wiener Universitéts-Hautkliniken und deren zugeordneten akademischen Lehrern)


Unser Fachgebiet hat sich in Österreich parallel zur Dermatologie und Venerologie in Deutschland entwickelt. Systemische, schulische Entwicklungen erfolgten, historisch gesehen, in Österreich etwas fréher, ohne dass hier Julius Rosenbaum, Gustav Simon, Felix Bérensprung, Karl Kluge vergessen wéren. Details müssen hier und heute ausgeklammert bleiben. Mit der Gréndung des ersten deutschsprachigen Journals 1869, mit der Gréndung dieser (DDG), unserer muttersprachlichen Fachgesellschaft 1888 – (in Prag 1889 inkorporiert, notabene), – und dem Wiener Weltkongress 1892, war die Entwicklung aber eine gemeinsame geworden. Dies ist aus der Beteiligung von Heinrich Auspitz, Filipp Joseph Pick, Eduard Lipp an diesen Gréndungen, am Herausgeberstab des Archivs für Dermatologie und Syphilis, an den österreichischen Lehrstuhlinhabern in Deutschland, etwa Gustav Riehl und Johann Heinrich Rille, zu ersehen, auch aus der Lehrzeit Paul Gerson Unnas beim Wiener Altmeister der Histopathologie Salomon Stricker (1834-1898), aber auch daran, dass es bis vor dem II. Weltkrieg keine Österreichische Gesellschaft für Dermatologie gegeben hat. Irgendwie möchte man da Anklänge an den Alpenverein sehen, der zuerst in Österreich gegréndet wurde, spâter in Deutschland, schliesslich ein gemeinsamer war, was dort, im Alpenverein, allerdings auch im Titel zum Ausdruck kam.

Trotz des grossen Hiatus nach dem I. Weltkrieg, der für Österreich in jeder denkbaren Hinsicht viel gravierendere Folgen hatte als für Deutschland, lief diese gemeinsame Entwicklung bis zur Machtébernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland, ungestért weiter. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Gravitétszentrum der deutschsprachigen Dermatologie längst nach Deutschland verlagert, Wien hatte nichts mehr zu bieten als Tradition, wenngleich ein Président der DDG noch aus Österreich stammen mochte wie Riehl in den spâten zwanziger Jahren.

Angelegentlich der für Pfingsten 1933 in Wien geplanten Tagung der DDG traten erstmals nachweisbare Friktionen zwischen den österreichischen und deutschen Dermatologen auf. Reichsärzteführer Leonardo Conti hatte schon im April 1933 die DDG kritisiert, dass diese nicht rasch genug die jüdischen Mitglieder auswies; im selben Monat (29. d.) erging ein Schreiben der DDG, unterzeichnet vom neuen Geschéftsführer der DDG Josef Schumacher, zusammen mit Hoffmann, Stéhmer und Riecke, an die Wiener Dermatologische Gesellschaft, des Inhalts, dass eine Beschickung der vorgesehenen Tagung in Wien von Deutschland aus nicht gut werde méglich sein. Riehl sagte draufhin die für Anfang Juni geplante Tagung ab, der Vorstand der DDG war durch Tod und Austritt ohnehin schon beschlussunfähig. Im Juli (19. d.) schrieb Bodo Spiethoff, Jena, ein eifriger Proponent des neuen politischen Systems in einem Brief an das Preussische Kultusministerium in Berlin, dass die Österreichischen Dermatologen ïésentweder jüdisch oder christlich-sozial, d.h. offen gegen unseren Staat gerichtet sind. » Die neuen Vertreter der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft waren nicht mehr bereit, mit ihren Kollegen aus den Niederlanden, der Schweiz, der Tschechoslowakei und vor allem Österreich zusammenzuarbeiten. Die in Rede stehende Tagung wurde dann 1934 in Berlin abgehalten.

In Österreich war die Folge dieser Friktion eine Umbenennung der Wiener Dermatologischen Gesellschaft in Österreichische Dermatologische Gesellschaft. Leopold Arzt und Wilhelm Kerl waren bis 1938 deren Présidenten. 80% der Mitglieder waren Juden. (Nach dem Anschluss wurde diese Gesellschaft wieder in « Wiener » umbenannt. Herbert Fuhs war wâhrend der Kriegsjahre deren Président).

Die Bemerkung Spiethoffs war insoferne richtig als mehr als zwei Drittel der Wiener Dermatologen Juden im Sinne der « Nérnberger Gesetze » waren. (Der Unterschied zwischen den Prozentzahlen muss wohl in der Tatsache liegen, dass die jüdischen Kollegen in einer héheren Zahl wissenschaftlich interessiert waren und zu Mitgliedern der Gesellschaft wurden). Die Namen Herrmann Zeissl, Isidor Neumann, Moriz Kaposi, Salomon Ehrmann, Gabor Nobl, Eduard Lang, Heinrich Auspitz, Filipp Joseph Pick, Ernö Schwimmer, Sigmund Lustgarten, spâter Moriz Oppenheim, Erich Urbach, Leopold Freund, Hans Koenigstein und Robert Otto Stein mégen als historisch relevante und prominenteste Vertreter der jüdisch-österreichisch-(ungarisch)en Dermatologie zur Illustration genannt sein. Dem mége hinzugefégt werden, dass es zum Zeitpunkt des « Anschlusses » in Wien über 5000 ärzte gab, von denen Ende 1938 noch gerade 1596 übrig geblieben waren. Es gab 1935 in Wien 160 Dermatologen, Anfang 1938 noch 125; 1940 waren davon noch 48 nachweisbar. Von 45 wissen wir sicher, dass sie emigriert sind. Es bleibt also eine « Dunkelziffer » von 32, deren Schicksal uns nicht bekannt ist.

Im Studienjahr 1932/33 waren an den beiden Kliniken für Haut- und Geschlechtskrankheiten 2 ordentliche Professoren (Leopold Arzt und Wilhelm Kerl), 2 ausserordentliche Professoren (Otto Kren und Moriz Oppenheim) und 13 Privatdozenten tétig (Gabor Nobl, Karl Ullmann, Gustav Scherber, Hans Koenigstein, Richard Volk, Viktor Mucha, Rudolf Müller, Robert Otto Stein, Alfred Perutz, Herbert Planner, Stefan Brénauer, Herbert Fuhs und Erich Urbach). Mehr als die Hälfte davon waren jüdischer Abstammung. (9 von 17)

Im Studienjahr 1937/38 waren an Hand des Personalstandes der Universitét Wien noch keine gravierenden Verénderungen sichtbar. Als ordentliche Professoren waren nach wie vor Arzt und Kerl, als ausserordentliche Professoren Oppenheim und Kren angestellt. Von den Privatdozenten waren Scherber, Volk, Koenigstein, Stein, Brénauer und Urbach noch tétig. Zusätzlich waren zu Privatdozenten August Matras, Josef Konrad, Anton Musger, Albert Wiedmann und Gustav Riehl jun. ernannt (alles « Arier »).

Von den im Studienjahr 37/38 genannten 15 Personen blieben mit 1. Juli 1939 (Datum des Personalstandes) nur sechs übrig. (Scherber, Matras, Konrad, Musger, Wiedmann und Riehl jun.) Die beiden Universitétskliniken wurden zu einer Klinik vereinigt, deren Vorstand Herbert Fuhs war. Leopold Arzt und Wilhelm Kerl wurden entlassen.

In den folgenden Kriegsjahren waren an der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten als Ordinarius Herbert Fuhs, als a.o Prof. Leo Kumer, Riehl jun., Matras und Scherber tétig. Zu Dozenten neuer Ordnung wurden Stefan Wolfram, Albert Wiedmann, Richard Geiger, Friedrich Voss, ab dem Studienjahr 43/44 Josef Tappeiner und Wilhelm Volvasek ernannt. Während der NS-Zeit ünderte sich an dieser Zusammensetzung nichts. Nach Kriegsende wurden Arzt und Kerl wieder in ihre Positionen eingesetzt, die Klinken wieder getrennt. Wilhelm Kerl starb aber noch im Mai 1945.

Die wissenschaftliche Tätigkeit war während der Zeit des Nationalsozialistischen Gewaltregimes in Österreich sehr eingeschrénkt. Es gab nur wenige erwähnenswerte Publikationen. Erst im Oktober 1942 fand wieder ein Kongress der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft statt. Es war der erste Kongrë einer deutschen Gesellschaft seit Kriegsbeginn. Das Interesse lag in erster Linie an venerischen Erkrankungen, aber auch an Hautkrankheiten der Soldaten.

Für die Jahre 1945 bis 1949 existieren weder im Universitétsarchiv noch im Institut für Geschichte der Medizin Personalsténde. Aus dem Personalstand des Jahres 1949 ist ersichtlich, dass nur Arzt und Stein an die Universitét zuréckkehren konnten. Fuhs wurde in den Ruhestand versetzt, Wiedmann, Kumer, Riehl, Matras, Wolfram und Tappeiner konnten ihre universitére Karriere fortsetzen.

Bereits am 31. Dezember 1945 beantragten Arzt, Wiedmann sowie Tappeiner die Reaktivierung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie. Am 12. Maerz 1946 war diese Reaktivierung géltig. Zum provisorischen Vorsitzenden der Gesellschaft wurde Leopold Arzt gewählt. Am 7. Dezember 1948 wurde Leopold Arzt zum Ehrenprésidenten gewählt, die Présidentschaft der Gesellschaft übernahm Robert Otto Stein. Stein war 1938 von seinem Posten als Vorstand der Poliklinik für Haut- und venerische Erkrankungen entlassen worden und bekam ein Jahr spâter eine Stelle im Spital der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Dort war er während der Kriegsjahre tétig. Stein gehérte zu den wenigen jüdischen Personen, die das Glück hatten, das Dritte Reich in Österreich zu überleben. Dies verdankte er in erster Linie der Heirat mit einer Arierin.

Von den obgenannten prominenten jüdischen Dermatologen mégen Erich Urbach, Moriz Oppenheim, Paul Fasal und Stefan Brénauer im Einzelnen erwähnt werden, sie alle starben in der Emigration in den Vereinigten Staaten. Gabor Nobel hatte kurz nach dem Anschluss mit seiner Frau Selbstmord begangen. Robert Otto Stein kann nicht als Rückkehrer gerechnet werden, er hatte ja in Wien überlebt. Es ist demnach KEINER der in Academia 1938 tétigen prominenten jüdischen Dermatologen wieder nach Wien zuréckgekehrt.
Albert Wiedmann wurde Nachfolger Wilhelm Kerls, Josef Tappeiner jener Leopold Arztens, Stefan Wolfram wurde Primarius in Linz, Gustav Riehl jun., spâter August Matras wurden Primarii in Wiener Spitélern.

1951 erfolgte eine neuerliche ünderung der Statuten der Gesellschaft. 1985 erfolgte eine Namensänderung der Gesellschaft. Der Verein hie zunächst « Die österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGD) ».
1997 erfolgte die Umbenennung des Vereins in Österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV) ».

Die Gesellschaft zählt heute über 700 Mitglieder. Der Prozentsatz jüdischer Dermatologen liegt sicher unter 5%; wahrscheinlich sogar unter 2%. Die personelle Besetzung der nunmehr vereinigten Hautklinik mit ihren drei Abteilungen ist ins Gigantische angewachsen. Am 1. Dezember 1960 zählte die damalige I. Hautklinik, vier Assistenten (Oberérzte) und vier Hilfsärzte. Heute betrégt die Zahl der Ober-, Assistenz- und Gastérzte etwa 70. Wenn die Wiener Dermatologie in der Welt wieder bedeutend geworden ist, so gréndet sich das nicht nur auf den Schweiss und Eifer der heute Tätigen, sondern auch auf das Unglück der Vertriebenen, aus Österreich und aus Deutschland. All jene, die aus hoffnungsvollen Stellungen hinausgeworfen wurden, kamen in Länder, deren Sprache sie nicht oder nur kaum sprachen, wo sie weder Staatsbérgerschaft noch Ärztliche Lizenzen besassen, d.h. wo sie sich mit der Wissenschaft pur auseinandersetzen mussten. Und das brachte Fréchte: Die investigative Dermatologie entstand zum Gutteil aus diesen Urspréngen und wir alle waren deren Nutzniesser. Das mégen wir nicht vergessen.

Abschliessend soll festgehalten werden, dass bei uns in Österreich die Beschéftigung mit der Kriegsvergangenheit der ärztlichen, notabene der dermatologischen Welt, ungenégend bearbeitet wurde und erst in diesen Jahren in den Mittelpunkt réckt. Vieles von dem, was österreichische ärzte im Unrechtsstaat des NS-Systems angestellt und verbrochen haben, harrt noch der Elaboration.

(Die Liste der 45 Emigranten wird in der zusténdigen Publikation enthalten sein).